Idiotical correctness


Hallo, Frau Ratzburga!
Aufgrund der leider flächendeckend um sich greifenden Verwässerung unserer
Muttersprache befinde ich mich als Direktor des Reptilienzoos von Heiligenstadt in einem berufsbezogenen Dilemma, da die Mehrheit unserer Besucher gefordert hat, die bisher nie beanstandete und in allen Fachbüchern nachzulesende Bezeichnung eines Exemplars der bei uns gehaltenen Spezies der Schwarzen Mamba – eine grüne Mamba haben wir auch noch – als rassistisch umzubennenen. Weil keiner der Eiferer mir aus dem Stegreif einen akzeptablen und sachgerechten Vorschlag machen konnte (Giftwurm und Kuschelfeind waren noch die verständlichsten) und eine ansonsten üblicherweise veranstaltete Namenslotterie mit einer Jahreskarte als Hauptpreis noch schlimmeres befürchten läßt, wende ich mich an Sie als erfahrene Kummerkastentante, die mit den Schwingungen der Bürgermehrheit vertraut sein dürfte. – Es ist wirklich dringend.

Lieber Herr Zoodirektor!
Vorab: Lassen Sie sich von der dummen Masse nicht unter Druck setzen! Wie schon Friedrich Schiller, dem ein nicht unwesentlicher Anteil an dem Begriff „Volk der Dichter und Denker“ gebührt, einst konstatierte: „Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn. Verstand ist stets bei wenigen nur gewesen.“

Tatsächlich sehe ich aber durchaus ihre Schwierigkeiten im praktischen Umgang mit diesen Leuten. Deshalb empfehle ich, das Schild am Terrarium auf die korrekte
wissenschaftliche Bezeichnung dendroaspis polylepis zu ändern. Bei der grünen
entsprechend dendroaspis viridis. Ich bin mir sicher, daß sich von den
gutmenschigen Banausen keiner die Blöße einer Nachfrage geben wird. Falls wider Erwarten doch, behaupten Sie einfach, es handele sich nur um eine Farbmutation der grünen. Dennoch sollten Sie rein vorsichtshalber daneben einen Wegweiser zum Streichelzoo anbringen lassen.